Yvonne, die Burgunderprinzessin
Theaterkritiker Michael Laages hat sich unser Stück angesehen und seine Eindrücke auf Facebook geteilt. Hier ist sein Text.
„Ich freue mich ja immer, wenn ich gute alte Bekannte wiedersehe im Theater; soll heißen: Texte & Stücke, die über die Jahre hin zu Favoriten geworden sind. Ein Stück des polnischen Schriftstellers Witold Gombrowicz gehört dazu, sein bekanntestes: „Yvonne, die Burgunderprinzession“, in anderer Übersetzung (und besser): „Yvonne, Prinzessin von Burgund“. Sehr unregelmäßig taucht das Stück in den Spielplänen großer Häuser auf, zuletzt in München, Frankfurt und Dresden, und jedes Mal bedauere ich, dass ich nicht hinfahren kann zu den Premieren.
Umso erfreulicher, dass „Yvonne“ jetzt Premiere gehabt hat mit Studierenden der „Schauspielschule – Bühnenstudio“ in Hamburg. Das 1959 von Hedi Höpfner begründete Privat-Institut, heute eine staatlich anerkannte Ausbildungsstätte, hat einen Spielort in einem extrem tollen Raum – direkt in einem der Wendeltreppen-Türme des alten Bunkers am Heiligengeistfeld, der auf dem Dach ja gerade durch Edelst-Apartments mit viel Grün drumrum aufgemöbelt worden ist.

Der Bühnenraum der Studierenden schmiegt sich im ersten Stock direkt an das Rund der Wand des Turm- und Treppenhauses; und für die Gombrowicz-Arbeit etabliert Regisseurin Bubina Victoria Voigt, Dozentin der Schauspielschule sowie Regie-Assistentin am St.Pauli-Theater wie am Schauspielhaus der Stadt, praktisch drei Spielebenen vor den etwa 60 Menschen im Publikum – hinter der „normalen“ (sehr kleinen) Spielfläche gibt’s eine Art „Hinterbühne“, und über der wiederum eine gleich große zweite, eine Art „Überbühne“; hier herrschen König Ignaz und Königin Margarethe, deren Sohn Philipp aus heiterem Himmel, aus Laune und Lust an der Provokation für den Hof, die überwiegend stumme und (so sagt das Stück) nicht sonderlich einnehmende Yvonne zur „Verlobten“ kürt. Tatsächlich verliebt sich nun aber dummerweise das Mädchen selber in den schrill provozierenden Prinzen, während der mehr und mehr der Kammerfrau Isa erliegt.
Die Präsenz des „Asozialen“ aber, das Yvonne repräsentiert, legt alte Abgründe im Königshaus frei – und weil das so ist, muss die/das Fremde, das stumm und anklagend aus Yvonne spricht, schlussendlich getötet werden: nach königlicher Art, also „von oben“ und durch die Gräte einer Karausche beim Festbankett.
Das Stück entstand 1935, trägt ebenso realistische wie groteske Züge, mag gelegentlich sogar als eine Art Vorläufer des absurden Theaters gelten. Die alte Übersetzung (von Heinrich Kunstmann) ist mittlerweise enorm verstaubt und behäbig – auch darum hat Regisseurin Voigt sprachlich kräftig eingegriffen. Auch das an sich sehr umfangreiche Personal des Stückes ist hier reduziert auf den Kern – obwohl die Regisseurin an einigen der eher episodischen Passagen festgehalten hat, die sonst fast immer gestrichen werden. Dem Spiel der Studierenden verordnet sie dafür aber ein paar gehörige Portionen an Hysterie. Und so wird die Wiederbegegnung mit dem ewigen Lieblingsstück zur wilden Jagd durch die Emotionen, Exaltationen und (angedeuteten) Exzesse, die Gombrowicz noch daheim in Polen entwarf, weshalb es zuweilen auch ziemlich katholisch zugeht … als deutsche Truppen am 1. September 1939 Polen überfallen (womit der Krieg beginnt), ist Gombrowicz eingeladen zur Jungefernfahrt eines Schiffes von Bremen nach Buenos Aires; das Exil des Autors dort dauert bis 1963. Nach der Rückkehr wird Gombrowicz auch in Deutschland wahrgenommen, und mit ihm „Yvonne“.
Noch ein Stück von ihm wäre jede Wiederbegegnung wert: „Operette“, das vor Jahrzehnten mal das Frankfurter Schauspiel der Palitzsch-Zeit im Spielplan hatte. Die Hamburger Bunker-„Yvonne“ der Studierenden zeigt jetzt vor allem (und sehr nachdrücklich) die Kraft und Lust der Übertreibung, die im Stück steckt – und mittendrin steht (wie in jüngerer Zeit sehr oft) eine Figur vom Rand der Mehrheitsgesellschaft: Amber Louise Robertshaw ist eine „person of colour“ und nimmt damit das Motiv der Ausgrenzung vorweg, das ja existenziell ist für die Figur der „Yvonne“. Aber spekulativ wird das nie – denn ebenso schrill (aber viel erschreckender) bleiben stets die Enttarnungen und Gewaltphantasien des Herrscherhauses, der Yvonne vernichten muss, um zu überleben. Aber wie soll das gehen mit so viel Schuld?
Tatsächlich, um Luft ringend der Karauschen-Gräte wegen, verbleibt Yvonne allein oben im „Thronsaal“, während unten der Hoftstaat derbe feiert; das Mädchen oben beginnt eine Art Tanz, dessen Figuren durchaus ein wenig erinnern an die Passion des Erlösers, der zuvor den Abend über streng katholisch rechts an der Turm- und Bühnenwand hing … wird Yvonne womöglich zur Erlöserin für die verrottete alte Welt?
Bubina Victoria Voigt weiß etwa anzufangen mit dem sehr sonderbaren und immer herausfordernden Text. Bis zum 9. und dann wieder vom 11. bis 16. März ist „Yvonne, die Burgunderprinzessin“ zu sehen im „Medienbunker“ am Heiligengeistfeld in Hamburg.“
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